Dieser Tage bemängelte Rückkkehrer Scrivs den Verlust der Diskussionskultur in Blogs: Smashing Magazine Killed The Community (Or Maybe It Was Me).
Natürlich musste dazu das Smashing Magazine herhalten. Vor drei Tagen hielt Good Dog Creative drauf: The Design Community Killed the Community (or maybe we just get what we give).
Ich kann beide verstehen, denke nur, dass man die Sache noch etwas differenzierter betrachten muss.
Scrivs
Früher gab es fast ausschließlich richtige Designartikel. Kaum Linklisten oder Tutorials. Man diskutierte über Webdesign.
Every article that you came across wasn’t a tutorial or list. Hell, the majority of them weren’t tutorials or lists. There were articles that actually talked about design.
Im Prinzip macht er auch nicht das Smashing Magazine für den Verlust der Diskussionskultur verantwortlich. Er sieht das Problem eher bei den Trittbrettfahrern.
The problem is it seems like everyone is following their model, even down to the million and one ads in a sidebar.
Eventuell befürchten manche, mit ihrer eigenen Meinung niemanden mehr zu erreichen. Vielleicht sollten sich jene dann aber fragen, warum sie überhaupt bloggen. Man darf außerdem Meinung nicht mit Mehrheit verwechseln.
Good Dog Creative
Autor Eric hat Recht, wenn er schreibt, dass die Community das bekommt, was sie verlangt. Zumindest ist sie da und nimmt die angebotenen Inhalte an.
Did Smashing Magazine grab those readers and commenters by the hair and drag them kicking and screaming to their post forcing them to make their comments? No. Smashing Magazine simply gave the community what it wanted.
Aber bekommt die Community überhaupt das, was sie möchte? Oder ist nichts anderes im Angebot? Angebot und Nachfrage? Nachfrage und Angebot? Henne oder Ei?
Er hat auch Recht, dass scheinbar einfache Beiträge viel Aufmerksamkeit bekommen. Auch in Form von sehr vielen Kommentaren. Aber brauchen wir Kommentare wie „First :-)“, „Great Article“ etc.? Eher nicht. Eigentlich geht es auch nicht (mehr) um den sozialen Längenvergleich. Und wenn, dann hätte Smashing Magazine eh schon gewonnen.
Magazin vs. Blog
Hierbei beziehe ich mich auf beide genannten Artikel. Smashing Magazine ist imho kein Blog. Das ist mehr ein Onlinemagazin – trotz Great-Article-Bestätigungsfunktion. Das Smashing Magazine als Magazin mag ich trotzdem, lese dort aber schon lange nicht mehr die Kommentare.
Es sind v.a. ausführliche Linklisten und Zusammenfassungen, Best-Practice Empfehlungen und Tutorials, die vorgetragen werden. In letzter Zeit wieder von besserer Qualität, wie ich finde. Das hat eher Magazin-Charakter. In Printmagazinen ist das ähnlich. Wobei dort der Schwerpunkt noch auf Berichten und Tutorials liegt. Selten aber auf der persönlichen Meinung des Autors.
Ein Blog aber zeichnet sich für mich u.a. und zu einem großen Teil durch die eigene Meinung des Autors aus. Außerdem durch Tipps auf Basis persönlicher Erfahrungen. Im Idealfall schließt sich dann eine angeregte und sachliche Diskussion zum Thema an.
Linkschleudern und Twitter
Irgendwann ist’s auch mal gut. Braucht ein Listenartikel Re-Tweets und Mikrowellen in großer Zahl? Mich persönlich nervt das.
Generell achte ich selbt darauf, keine Artikel zu tweeten oder zu erwähnen, die eh schon hundertfach Erwähnung fanden. Das ist Energieverschwendung und nervt die Leser. Bookmarken und Schnauze halten, so könnte die Devise lauten.
Ein Teil der Kommentar- und Diskussionskultur geht vielleicht auch auf Kosten von Twitter, Facebook und Nachkommen. Diskussionen verlagern sich raus aus den Blogs und verpuffen später im Raum.
Ich finde Listenartikel bedingt gut
Ich habe rein gar nichts gegen gut recherchierte Auflistungen passender Artikel zu bestimmten aktuellen Themen. Am meisten schätze ich solche, die darüber hinaus noch durch den Verfasser (an-) kommentiert sind. Diese Art von Beiträgen kann anderen beim Einstieg in eine bestimmte Thematik behilflich sein.
Ich selbst setze bei Gefallen Bookmarks und verfasse den ein oder anderen Tweet. Nur für Blogposts, die lediglich auf andere Listen-Posts verweisen, habe ich weniger Verständnis. Solche Beiträge lassen meinen Feedreader überquellen und kosten mich Zeit bei der Recherche.
Gerade bei der Recherche kann es sehr frustrierend sein, zigfach über immer gleichlautende Suchergebnisse zu stolpern.
Aber die Listensverlinkungsartikel werden anscheinend durch ihren Erfolg bestätigt. Auch wenn der nur über Visits durchgeschleuster Leser oder die Anzahl der Feed-Abonnenten definiert wird.Viele Feed-Abos bestehen u.U. nur deswegen, weil man befürchtet, etwas verpassen zu können.
Jens Grochtdreis sagt:
Ich schließe mich Deiner Meinung voll an. Die Linklisten sind erfolgreich, weil sie offenbar einem Grundbedürfnis entgegenkommen: sie reduzieren Komplexität. Mich nervten anfangs mehr die reißerischen Titel, mittlerweile amüsieren sie mich mehr.
Ich nutze Linklisten gerne, weil sie oft eine gute Zusammenfassung von empfehlenswerten Artikeln sind. Oft kenne ich die Artikel schon und werde nochmal an sie erinnert. Viel öfter finde ich allerdings über die Linklisten gute Tools oder Artikel, auf die ich sonst nie gestoßen wäre. So habe ich schon manche Perle an Blog entdeckt.
Linklisten sind nur so lange gut und erfolgreich, wie sie neues und gutes Material zum verllinken finden. Dank der Linklisten wird dieses Material dann später leichter gefunden. So ernähren sie sich gegenseitig. Das finde ich klasse. Die Dosis ist entscheidend. Deshalb freue ich mich hin und wieder über eine Linkliste, aber nicht täglich. Und ich freue mich über Linklisten, die mehr nach Klasse denn nach Masse zusammengestellt werden. „Die 200 besten jQuery-Plugins“ braucht niemand. Reduktion der Komplexität ist angesagt. Das schaffen Suchmaschinen schlechter, als Linklisten und Social Bookmark-Dienste.
3. Dezember 2009 — 10:48
Frederic sagt:
Ich musste ja neulich sehr über folgenden Tweet vom Smashing Magazine lachen:
http://twitter.com/smashingmag/status/6112686400
Vielleicht ist das eine Neuorientierung, es wäre zu wünschen. Auch wenn ich Jens da recht geben muss: Listen können durchaus sehr praktisch sein – in den entsprechenden Dosen. Auch hier lieber Qualität statt Masse.
3. Dezember 2009 — 11:12
molily sagt:
Ich denke nicht, dass Listenartikel Komplexität resultieren. Ich fühle mich in Listen ehrlich gesagt verloren und finde es sehr anstrengend, den Überblick zu behalten. Letztlich muss ich jeden Link anklicken und mir selbst ein Bild machen. Die Texte dazu sind bloß zusammenkopiert oder wenig informativ.
Eine solche Herangehensweise eignet sich m.M.n. nicht, Leuten Techniken und Fertigkeiten strukturiert zu vermitteln. Da werden wild und eklektisch alle möglichen »Tricks« gezeigt, ohne die Zusammenhänge zu erklären. Da steigt jemand, der das Feld kennt, natürlich durch. Die restlichen Leute bauen sich Websites, in denen sie »Tricks« zusammenkopieren, ohne die Funktionsweise zu verstehen. Niemand kann Webdesign verstehen, indem man solche »Tricks« konsumiert.
3. Dezember 2009 — 13:18
Björn sagt:
@Frederic: Ich meine, dass die längst fällige Neuausrichtung bei Smashing im Gange ist. Ich hoffe da zukünftig nicht mehr Dinge zu lesen nach dem Motto „100+ mindblowing Fußmattenmuster for your inspiration“.
Was die Listen betrifft, sehe ich das selbst, wie angedeutet, ähnlich wie Du und Jens.
Was aber auch klar ist. Linklisten – auch wenn sie gut recherchiert sind – sollten die Ausnahme bleiben. Wir brauchen wieder mehr originellen und individuellen Inhalt. Mehr Meinungen und praxisrelevanten Austausch zu verschiedenen Themen.
3. Dezember 2009 — 14:52
simonnickel sagt:
Ich steh den Listen etwas zwiegespalten gegenüber.
Klar ist, dass Listen nach dem schon genannten Schema “100+ mindblowing Fußmattenmuster for your inspiration” vollkommen überflüssig sind. Jedoch können gut recherchierte Listen mit ausreichend Kommentar sehr interessant sein, doch meistens kommt man selbst bei solch kurzen Listen nicht dazu alle Beiträgen zu lesen, oder alle Tools zu testen, oder alle …
Das gleiche Problem haben meiner Meinung nach auch gute Artikel, mit viel eigener Meinung und einer umfangreichen Diskussion, es finden sich einfach weniger, die diesen Artikel bis zum Ende durchlesen und dann weiterempfehlen.
Ich würde daher Twitter den Schwarzen Peter zu schieben, im Gegensatz zum weiterempfehlen guter Artikel in einem Blogpost wird nun dauerhaft jeder sinnlose Artikel tausendfach weitergetwittert um möglichst viel Aufmerksamkeit zu bekommen. Aufmerksamkeit, die aber wegen der Masse an Ressourcen nur oberflächlich ist.
3. Dezember 2009 — 19:42
Björn sagt:
@simonnickel:
Da hast Du Recht. Das steckte auch in der Kritik.
Ich denke es wurde „früher“ zwar noch etwas mehr gelesen und diskutiert. Aber man muss sich als Autor immer über das Leseverhalten im Internet bewusst sein. Viel wird eben gescannt.
Man muss für sich als Autor bzw. Blogger entscheiden, was einem wichtiger ist. Ich selbst schreibe lieber etwas ausführlicher und nehme evtl. weniger Leser gerne in Kauf. V.a. so lange überhaupt noch ein Dialog mit den Lesern, auch mal außerhalb des Blogs (per Mail oder in einem persönlichen Gespräch), zustande kommt.
3. Dezember 2009 — 23:33
Frederic sagt:
@Björn:
Wenn wir schon bei früher™ sind: Ich denke das Problem ist einfach auch die Informationsflut. Im Web-Bereich gab es eine handvoll Sites mit guten, tiefgreifenden Artikeln und einer entsprechenden Reichweite (z.B. A List Apart). Viele Autoren wollten auch für diese Plattformen schreiben, das Wissen war relativ konzentriert – so dass sich auch viele Leute dort getroffen und diskutiert haben.
Heute bloggt, twittert, tumblt, flickrt fast jeder Designer/Entwickler im Webumfeld, die Kommunikationskanäle und Diskussionsmöglichkeiten haben sich extrem vervielfacht. Vieles wiederholt sich (in unterschiedlicher Qualität), vieles verschwindet im allgemeinen Netz-Rauschen. Dies wiederum rief die Portfolio- und Aggregatoren-Websites auf den Plan. Entweder trägt man sich bei diesen Diensten selbst ein, oder die Zusammenstellung funktioniert (semi)automatisch. Diese können sehr sinnvoll sein (grade als RSS-Feed), wenn sie inhaltlich klar abgegrenzt sind (z.B. CSS, JavaScript/jQuery, WordPress, Typographie, Design, Inspiration). Die berüchtigten „Best-Of“-Listen sind dieser Entwicklung ebenfalls geschuldet, leider bieten viele davon nicht wirklich viel Neues (Fußmattenmuster) oder sind nur als Kern-Zweck dazu gedacht, Werbeeinnahmen zu erzielen statt sich tatsächlich mit den Inhalten auseinanderzusetzen.
4. Dezember 2009 — 11:22
Gerald - hyperkontext sagt:
Dein angesprochenes Thema ist wohl eher eine Diskussion aus der eigenen Sicht.
Wir müssen die Listen ja nicht lesen. Genauso, wie wir keine Boulevardzeitungen lesen müssen.
1)
Grundsätzlich stimme ich #3-molily zu.
Oft stolpere ich über Foren, wo Leute mit Achtelwissen irgendein CSS/HTML-Problem jetzt und sofort gelöst haben wollen und schon allein aus der Frage ersichtlich ist, dass dem/der Fragesteller/in jegliches Grundlagenwissen fehlt. Erstmal ja gut und richtig, Fragen zu stellen.
Nach dem Hinweis aber, dass die Frage so abgekapselt nicht beantwortet werden kann – und als Antwort eventuell ein gesetzter Link auf umfassenderes Material -, wird oft auch noch, sachte ausgedrückt, mit Unverständnis reagiert.
2)
Die Leute „aus der Szene“, die sich eingehender mit einer Materie beschäftigen, die haben vieles davon in ihren Blogs schon vor Jahren abgehandelt und schreiben einfach über die Sachen, die sie aktuell bewegen. Ist auch logisch.
Diese Leute lesen (abonnieren) auch solche Listen-Blogs kaum.
Ist eine wirklich mal gut, dann spricht sich das sowieso via FB, Twitter etc. herum.
Ich seh das selbst an mir.
Wenn mir mal wieder einfällt über ein CSS/HTML-Ding zu bloggen, das eher in die Rubrik „Tutorial“ oder „Grundlagen“ fällt, dann erzeugt das (logischerweise) erstmal nicht viel Resonanz. Nach einigen Wochen – und auch noch nach vielen Monaten – kommen dann Leser via Google mit Stichwörtern wie „acronym html“, „metatag ie8“, „zeilenabstand auf webseiten“ oder „css elemente fest positionieren“ etc.
Die Frage ist also vermutlich: Hat sich das „(Lern)verhalten“ in wenigen Jahren radikal geändert?
Keine Ahnung, ich glaube eher nicht. Bestenfalls dadurch, dass das Angebot an „Boulevard-Tipps“ größer wurde.
Empirisch könnte die Frage wohl nur mit einer Studie erforscht werden.
4. Dezember 2009 — 15:11
Björn sagt:
@Gerald – hyperkontext:
Natürlich. Ist ja auch mein persönliches Blog und meine Meinung 😉
Aber im Ernst. Ich denke es gibt im Wesentlichen zwei Aspekte. Die Listenposts an sich. Außerdem die geänderte Diskussionskultur.
Ein Überangebot an Information, das für den Einzelnen schwer zu bewältigen ist. Twitter & Co, die Diskussionen verlagern bzw. zum großen Teil hemmen.
Da stimme ich auch zu. Das ist bei mir nicht anders und wer den Webzeugkoffer (und früher Markup) schon länger verfolgt, hat das bestimmt auch so wahrgenommen.
Ich persönlich freue mich immer über Diskussionen und den Erfahrungsaustausch. Wie z.B. auch bei Webmontagen – offline.
4. Dezember 2009 — 15:55
Matthias Koch sagt:
Die Situation, dass es im Netz quantitativ viel und qualitativ viel zu wenig „leicht erreichbares“ und verständlich aufbereitetes Wissen gibt, hat die Notwendigkeit der selektiven Zusammenstellung (als Liste) gefördert.
Niemand kann alles lesen, also wird auf vorhandene Quellen verwiesen, referiert – ich glaube, dass die Blogfeeds ihren Teil dazu beigetragen haben (auch Content Syndication …) und all das.
Eine Diskussionskultur findet höchstens noch in Elfenbeintürmen statt – abseits von facebook, youtube und twitter, schade eigentlich.
4. Dezember 2009 — 18:54